Die bitteren Tränen der Petra von Kant. EINE RAUBKOPIE.
Regie: Rainer Werner Fassbinder.
Wirklich? Lebt der noch? Ich dachte, der ist schon gestorben?
Das Urheberrecht ist ein bestimmendes Merkmal des Warenkapitalismus. Das Copyright wurde Ende des 19. Jhs erfunden und eignet dem Wirtschaftsdenken der westlichen Welt.
In China kennt man den Begriff Shanzai, der die möglichst perfekte Reproduktion zum Inhalt hat; nicht Raub, sondern absolute Wertschätzung des ersten Künstlers, Rücknahme der eigenen Originalität und Kreativität. Der Schwarzmarkt boomt, Nachbauten von allem Käuflichen fluten den Markt, drücken den Preis – und ermöglichen praktisch jedem den Erwerb von allem.
Nachbauten von Medikamenten werden von der Pharmaindustrie bis aufs Blut verfolgt; sie ermöglichen Tausenden von Menschen das Überleben – und bringen unkontrolliert Seuche und Tod unter die Ärmsten der Armen. Im Musiktheater sind Zweitbesetzungen Gang und Gäbe, perfekte Reproduktion ist das höchste Ziel, künstlerische Eigenart vernichtet Orchester und Choreographie.
Das Sprechtheater blieb bisher verschont, Text wurde als Skelett gelesen, das der Schauspieler mit Fleisch und Leben füllte, eine Vorstellung war an den Schauspieler gebunden. An den Theatern proben jetzt vermehrt teure Gäste eine Rolle, spielen sie dann noch ein paar mal, bis sie durch ein festes Ensemblemitglied ersetzt werden, der die Rolle von der DVD auf Blick und Geste genau kopiert. Prozesspiraterie, guten Tag?
Unzählige Bereiche sind von der Reproduktion betroffen. Aber worum geht es wirklich? Um den Reichtum des Einzelnen oder die Verbesserung der Gesamtsituation? Ist das Urheberrecht eine Qualitätsgarantie oder ein Merkmal von grenzenlosem Egoismus? Wenn nun Rainer Werner Fassbinder Die bitteren Tränen der Petra von Kant so inszeniert hat, dass dem nichts mehr hinzuzufügenden ist, Freunde, dann sollen wir uns einen Regisseur kaufen? Nein nein, wir kaufen die DVD und spielen das Ding nach, auf Geste und Blick – und dann gehen wir bitte in die Diskussion (theatral natürlich, Teil 2 des Stückes), und erörtern, an den oben bereits genannten und vielen oben noch nicht genannten Beispielen, um was es hier geht: Vermehrung oder Diebstahl des Besten. Wir dürfen auf die Unterscheidungsfähigkeit des Publikums rechnen. Differenzieren ist aktives Zuschauen. Das macht Spass. Wir trauen es dem Publikum zu. Talent borrows, genius steals.
Schauspielerisch liegt die Herausforderung und der Reiz in der absoluten Präzison und Perfektion der Nachahmung. Das ist faszinierend und höchst unterhaltsam anzuschauen.
es darum, alle wichtigen heutigen Bereiche der heutigen REPRODUKTION aufzuspüren, ihre Problematik und ihr Potential gegeneinander abzuwägen und daraus exzellente Spiel-Szenen zu schreiben. Wir vermuten auch in diesen Szenen einen hohen komischen Faktor.